Sylvia Scheidl

sylviascheidl.at

foto: Dominik Greil

Ideokinese

Im Lernprozess werden die Lernenden befähigt, sich ihren Weg durch den Körper zu erdenken und zu erfühlen. Sie lernen in einem selbstgesteuerten Prozess, entwickeln ihre kinästhetische Wahrnehmung und ihre innere Motivation und Intuition. Dies wirkt über das Bewegungslernen hinaus auch in ihr Leben.
Diese Arbeit setzt voraus, dass Bewegungslernen im Tanz oder auch im Sport nicht nur von einer körperlichen Seite trainiert wird, sondern auch Denken, Spüren und Vorstellung gemeinsam mit der körperlichen Bewegung entwickelt werden. Umgekehrt kann das Denken unsere körperlichen Fähigkeiten maßgeblich verändern. Dieser ganzheitliche Prozess bereichert unsere innere Erfahrung, unsere Intuition und unseren Ausdruck und unterstützt unsere persönliche Gesamtentwicklung. Das wird individuell in der Regel als befriedigend, lustvoll und stärkend erlebt.
Diese Ausrichtung auf eine zunehmend effizientere Körperorganisation hin lässt das Tanzen flüssiger, leichter, weicher und geschmeidiger werden. Es beugt Verletzungen besser vor und stimuliert die persönliche Bewegungsforschung.

für Bewegungsinteressierte

für Musiker & Schauspieler

für ältere Menschen

Bewegung wird durch die zugrunde liegenden neuro-muskulären Muster organisiert, die im Gehirn und im Nervensystem gespeichert sind. Diese entwickeln wir von frühester Kindheit an. Die zugrundeliegenden Muster in ihrer Gesamtheit machen den Haltungs- und Bewegungscharakter eines Menschen aus. Nachhaltige Veränderungen sind nur möglich, wenn sich diese neuro-muskulären Muster ändern, das heißt auch, dass die neuen Muster schließlich wieder automatisch wirken und nicht nur jeweils neu durch bewusstes Denken stimuliert werden. Das bedarf eines Prozesses „intelligenter“ Wiederholungen.

Ideokinese nutzt kinästhetische Vorstellungsbilder, um spezifische muskuläre Antworten zu stimulieren. Diese Bilder sind bewegte Bilder, die aus Konzepten mechanischer Balance entwickelt sind. Mit wiederholter Praxis regen sie die angepeilte kinästhetische Antwort an und führen schlussendlich zu einer dauerhaften Veränderung im neuro-muskulären System. Diese nachhaltigen Veränderungen geschehen, wenn ein passendes Bild oft wiederholt wird, der Praktizierende kinästhetisch aufmerksam ist und eine gelassene Haltung der Empfänglichkeit den Prozess begleitet.
Um eine Aufgabe oder Bewegung auszuführen, sind wir uns im besten Falle unserer Absicht bewusst. Die spezifische neuro-muskuläre Organisation, die es dem Körper erlaubt, unsere Absicht auszuführen, ist jedoch ein unbewusster Prozess, dessen wir auch nicht gewahr werden können.
Bewusste Absicht und unbewusste Körperorganisation überbrückt der „gefühlte Gedanke“. Diese Gedankenform erfasst auch die kinästhetische Information - in Alltagssprache das Körpergefühl - das aus vergangenen Bewegungserfahrungen mit dieser Absicht verbunden ist. Wir denken und sehen uns quasi in die Zukunft mit diesem Modus des Vorausfühlens, so als würden wir diese Aktivität tatsächlich machen. Diese imaginierte Bewegung stellt einen flüssigen Übergang zwischen Absicht, Organisation und Ausführung her.
Ideokinese setzt genau bei diesem Modus der „gefühlten Gedanken“ an. Wir stellen uns ein bewegtes Bild bewusst vor und lassen es sich in uns in einen „gefühlten Gedanken“ verwandeln, der schließlich die unbewusste Organisation einer Muskelantwort stimuliert. Wiederholen wir diese Folge „image to action“ ausreichend oft, können wir das entsprechende Körpergefühl sehr genau identifizieren. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass das neue Muskelmuster gespeichert und in Zukunft automatisiert bzw. rasch aufrufbar ist.
Klare Konzentration und bewusste Führung sind notwendig, um das Bild in der eigenen Vorstellung zu etablieren. Haben wir das geschafft, ist es wichtig, die Anstrengung loszulassen, uns den unbewussten Prozessen anzuvertrauen und mit gelassener Aufmerksamkeit auf die Körperantworten zu lauschen. Willentliches Aufzwingen von körperlichen Veränderungen und willentliche äußere Bewegung stören bis verhindern diesen Prozess.

Wie alle anderen Körper auf dieser Welt ist unser menschliche Körper der Schwerkraft und den Kräften von Trägheit und Momentum ausgesetzt. Die Praktiker von Ideokinese haben genau untersucht, wie die mechanischen Prinzipien auf den Körper anwendbar sind. Wenn die Kräfte, die auf ihn wirken, und die Kräfte, mit denen er diesen widersteht, sich ausgleichen, ist er in Balance. Grundsätzlich stehen uns für diesen Widerstand Struktur und Material des Skeletts und das neuro-muskuläre System zur Verfügung. Eine möglichst effiziente Balance maximiert die Wirkung des Skeletts und minimiert den Kraftaufwand des neuro-muskulären Systems.

Mechanische Prinzipien

Neuro-muskuläres System

„image to action“

Übungspraxis

In Übungen werden die Vorstellungsbilder häufig durch gerichtete Berührung eines Partners unterstützt. Wir lassen Veränderungen in Körpergefühl und Körperspannung zu und sensibilisieren unsere Aufmerksamkeit dafür. Nach der Information durch Bild und Berührung lassen wir äußere Bewegung als Antwort auf die vorgestellte Bewegung passieren. Das führt uns zu improvisierten Tänzen, die ganz aus dem stimulierten Körpergefühl kommen und keiner äußeren Form Genüge tun wollen. Darin integrieren sich Vorstellungsbild, kinästhetische Wahrnehmung und Bewegung und werden im Nervensystem verankert.

Ideokinese bietet allen Menschen, die an der Auseinandersetzung mit ihrer Körperwahrnehmung und ihrer Bewegung interessiert sind, ein kreatives Feld, ihre Bewegungslust zu stimulieren, mehr Leichtigkeit und Durchlässigkeit zu spüren, über ihre Bewegungsvorlieben zu lernen und sie zu erweitern. Als Gruppen- und Partnerform gibt Ideokinese Gelegenheit, sich mit anderen auszutauschen, über unterstützende Berührung zu lernen und die eigenen Körperbilder zu reflektieren.

Darstellende Künstler lernen durch Ideokinese ihre Körperwahrnehmung als Potential und Anker für Performance und Präsenz zu nutzen. Zudem bietet Ideokinese einen Weg hin zu einer effizienteren Körperorganisation, die Muskeleinsatz reduziert und damit mehr Energie für gestaltende Aufgaben, Kommunikation und alles andere im Leben freisetzt.

In jedem Alter ist Lernen von und durch Bewegung möglich. Älteren Menschen kann Ideokinese helfen, ungünstige Bewegungsgewohnheiten zu erkennen und sie durch die Kraft des Denkens zu verändern. Das macht Bewegung im Alltag lustvoller und unterstützt das allgemeine Wohlbefinden. Ideokinese zeigt auch älteren Menschen einen Weg zu ihrem persönlichen Tanz, der abseits von Hochleistung stimmig und ausdrucksstark sein kann.