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Zeitgenössische Tanztechnik

Im Release-Prozess richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Knochen, geben ihnen Raumrichtungen, bringen sie in Austausch mit ihrer Umgebung und öffnen den bewegten Körper damit in alle Richtungen in den Raum. Nicht Positionen werden erlernt, sondern Richtungen, die immer innere Bewegung bedeuten.

Einige grundlegende Aspekte des Bewegungsverständnisses sind:
..... die Wirbelsäule als Kernstruktur
..... ihre Unterstützung durch die Körperperipherie im Bodenkontakt
..... die Vielfalt der (Aus-)Richtungen im Raum
..... sphärische / dreidimensionale Bewegung
..... das Zusammenspiel von Vorstellungskraft und Bewegung

In einem methodischen Mix werden angeboten:
..... anatomisches Anschauungsmaterial und assoziatives Bildmaterial
..... präzise gerichtete Hands-on-Arbeit in Partnern als Unterstützung für verbal vermittelte
      Vorstellungsbilder, die meist von einer ruhigen Situation in Bewegung führen
..... einfache „Exercises“, die die funktionalen Prinzipien in Bewegung praktizieren und für die Schulung
      der Wahrnehmung Zeit geben
..... vorgegebenes Bewegungsmaterial, in dem es um die bewegte Anwendung geht und der Fokus
      auf der tänzerischen Erfahrung im Raum, in der Gruppe und in der Bewegungsdynamik liegt
..... strukturierte Improvisationen, alleine und mit Partnern, die die individuelle Bewegungsforschung
      stimulieren und auf unterschiedliche Weise die kompositorischen Aspekte Raum, Zeit, Bewegung
      und Form thematisieren. Damit tragen sie wesentlich zur Entwicklung einer individuellen und
      reflektierten Bewegungssprache bei.
..... Musik ist ein stimulierender Partner, aber nicht zwingend einzusetzen

Klarheit, Leichtigkeit und Durchlässigkeit werden in der Bewegung von innen gefühlt und von außen sichtbar. Ergänzend experimentieren wir, was Organe, Körperflüssigkeiten, Bänder, Lungen- und Zellatmung zu unserer Bewegungsqualität beitragen und wie sie unsere Bewegungsökonomie verbessern.

Energieerhaltungssatz

Release-Technik nutzt das Wissen um den Energiekreislauf in einem geschlossenen System. Die Schwerkraft wirkt auf alles auf der Erde, so auf uns – mit einer klaren Richtung zum Erdmittelpunkt hin. Da Energie nach dem Energieerhaltungssatz der Physik nicht verloren geht, kommt diese Kraft aus der Erde in unsere Körper zurück: wir können sie nutzen und uns gegen die Schwerkraft auf- und ausrichten. Auf der mentalen Ebene gilt das gleiche. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Umgebung richten, bekommen wir Energie zurück – in Form von Gedanken, Motivation oder Inspiration - und werden Teil eines sich austauschenden größeren Systems.

In Release-Techniken ist deshalb viel von Knochen die Rede, weil wir sie uns als feste Bausteine unseres Bewegungsapparates gut - vor allem anatomisch ausreichend genau – vorstellen können. Muskeln spannen als dreidimensionales mehrschichtiges Netz die Knochen im Raum auf und wirken immer höchst komplex mit unterschiedlichen Spannungsgraden und in Muskelketten von einem zum anderen Körperende zusammen. Das können wir uns nicht anatomisch ausreichend genau vorstellen. Denken wir aber einen Knochen in Bewegung in eine bestimmte Richtung, übersetzt das unser Körper – die entsprechenden unbewussten Gehirnregionen - in die dafür gebrauchte Aktivität aller Muskel.

Knochen

Release-Aktivität ist ein mehrstufiger Prozess. Druck und angespannte Muskeln werden mehr und mehr losgelassen, um eine zunehmend feiner gestimmte Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Das schafft die Voraussetzung, Energiestauungen von angespannten Muskeln durch multidimensionale Ausrichtungen im Körper zu ersetzen. Den stimmigen aktiven und entspannten Tonus im gesamten Körper zu finden, ist das Grundthema schlechthin. „Release” bedeutet nicht “relax”, „release“ bedeutet „freisetzen“ und nicht entspannen und nicht in den Boden zusammen fallen. Für viele Tänzer heißt das im ersten Schritt vor allem, Überspannung in bestimmten Muskelgruppen und Körperteilen und alte, vermeintlich gute Haltungen loszulassen. Die Knochen des Skeletts sollen so organisiert werden, dass sie in einem möglichst hohen Ausmaß unser Körpergewicht stützen und die Muskeln für Bewegung freimachen. Die Gelenke fungieren dabei als elementarer Freiraum für die Beweglichkeit der Knochen. Effiziente Muskelbalancen sollen die Bewegungs- und Aufrichtungsaktivität gleichmäßig zwischen Gliedmaßen und Rumpf, oben und unten, Vorder- und Rückseite des Körpers verteilen. Ganz gleich, ob der Tänzer sich in einer äußerlich unbewegten Position befindet oder eine schnelle Bewegungsfolge tanzt – immer verteilt sich die Kraft möglichst differenziert auf den gesamten Körper. Selbst die kleinste Bewegung - das Heben einer Hand oder das Drehen des Kopfes – wird durch die mehrdimensionale Ausrichtung des ganzen Körpers unterstützt.

Der stimmige Tonus

Das Zwerchfell und die Psoas-Gruppe werden als mächtige Muskel im Rumpf thematisiert. Die Psoasmuskeln integrieren als Hüftbeuger Rumpf und Beine und balancieren die Rückenmuskeln, vor allem im Lendenbereich. Die Psoasmuskeln sollen weder schlaff noch in Anspannung eingefroren sein, sondern sich mit einem saftigen Tonus längen und aktiviert sein. Das Zwerchfell als primärer Atemmuskel spannt einen Muskeldom rundum im Brustkorb auf, der mit Sehnenansätzen tief hinunter in die Lendenwirbelsäule greift. Ist das Zwerchfell in seiner Atembewegung voll und flüssig, unterstützt es maßgeblich die Aufrichtung. Man vertraut auf einen autonom gesteuerten Atemfluss, der sich intelligent an die Bewegungsanforderungen anpasst, ohne ihn willentlich zu lenken.

Psoas und Zwerchfell

Grundsätzlich können Tänzer jeden Alters und jeder Bewegungstechnik ihre Arbeit durch den anatomisch fundierten Zugang der Release/Alignment-orientierten Techniken stärken. Neugier, die Fähigkeit zur Selbstmotivation und die Freude daran, sich selbst einen Zugang zu den gegebenen Informationen zu schaffen, sind entscheidend, denn Lernen wird als selbstverantworteter Prozess verstanden.

für Tanzinteressierte Tanzstudenten & Tänzer

Anwendung

foto: Dominik Greil

Sylvia Scheidl